Auch in diesem Jahr widmet sich das Projekt „Stories of Change“ dem Thema „Nachhaltig Wirtschaften“ und hält nach Vorbildern des Wandels Ausschau. Als Teil der ersten Dresdner Startup Safari tauschten sich am 14. Mai im Impact Hub Dresden bei der „Stories of Change“-Auftaktveranstaltung zum Themenfokus „Ressource Mensch?“ 70 Besucher*innen darüber aus, wie soziale Innovationen in Unternehmen ökologische Nachhaltigkeit fördern können.
Norbert Rost (Büro für postfossile Regionalentwicklung) verdeutlichte in seinem Impulsvortrag die Dringlichkeit des Umschwungs auf nachhaltiges Wirtschaften. Er zeigte auf, wie durch unverantwortliche Konsum- und Lebensweisen die planetaren Grenzen überschritten werden und dass wir uns so unserer eigenen Lebensgrundlage berauben. Kein einziges Land schafft es bisher soziale und ökologische Faktoren zu vereinen. Da die Wirtschaft einen großen Anteil an unseren heutigen Problemen hat, muss sich genau dort etwas ändern.
Deshalb warf Manuel Lenk (Business Coach) mit den Besucher*innen einen Blick in das Innere der Unternehmen. Es braucht ganzheitliche Veränderungsprozesse, denn Unternehmensstrukturen und Personalpolitik bergen zwar einige Herausforderungen, aber auch ein großes Potential für Weiterentwicklung.
Wir gingen also der Frage des Abends nach: Können soziale Innovationen ökologische Nachhaltigkeit im Unternehmen anstoßen? Vertreter*innen von fünf Unternehmen berichteten von ihren Erfahrungen.
Eduard Graf vom Getränkeunternehmen Kolle-Mate gewährte uns bei seiner Session „Unternehmenspolitik anders – Gesellschaft gestalten im Kollektiv“ einen Einblick in die Arbeit als Kollektiv. Ein Grundsatz seines Unternehmens ist es, den Mitarbeiter*innen in ihrem Arbeitsalltag die eigene Selbstbestimmung nicht abzusprechen – das bedeutet: aktive Teilhabe, Mitdenken und Gestalten. Politisches Engagement im Unternehmen und im Nichtarbeitskontext bedingen sich gegenseitig und schaffen die ganzheitliche Grundlage für eigenverantwortliche Bürger*innen. Flache Hierarchien und Entscheidungen auf Augenhöhe stellen das „Mensch-Sein“ im Unternehmen in den Mittelpunkt. Gerechtigkeit, Gleichwertigkeit und Vertrauen sind gelebte Grundlage für das Solidaritätsprinzip. Gehälter beruhen beispielsweise auf einer Basiszahlung mit Anpassung je nach echtem Lebensbedarf. Alles in Allem schafft Kolle-Mate im Kollektiv die Verknüpfung von Wirtschaft und Moral. Das Rezept für diese sozial-ökologische Beschleunigungsbrause ist:
• “Mensch im Mittelpunkt“ aller Unternehmungen
• politische Haltung und gesellschaftliche Verantwortung übernehmen
• ökologische Grenzen respektieren durch Dezentralität und Regionalität
• sich Zeit nehmen für Entscheidungen – Kooperation statt Konkurrenz
• Vertrauen
Andres Kühn, Coach für innere Kraft und Marken-Strategie, beschrieb in seiner Session „Wie sich Menschen entwickeln und dadurch unsere Wirtschaft und unsere Welt verändern“ die Potentialentfaltung jedes einzelnen Individuums. Tief in uns verwurzelt ist der Antrieb nach „Mensch-Sein“. Getrieben durch den Wunsch der Erfüllung dieses Bedürfnisses gehen wir meist den einfacheren Weg – den Weg der äußeren Einflüsse, des Konsums und der Statussymbole. Doch der Schlüssel zur langfristigen Erfüllung liegt im Inneren. Denn erst, wenn man selber mit sich zufrieden ist, kann man aus sich heraus und um sich herum Gutes tun. Um die Welt aus sich heraus zu verändern, stellen sich drei grundlegende Fragen: 1.) „In welcher Welt wollen wir leben?“ ist schnell gefüllt mit Ideen wie Ablehnung von Ausbeutung und Waffenhandel bis hin zum Verständnis als Gemeinschaft, in der jede*r seine Potentiale entwickeln kann. 2.) „Was kann ich dafür tun?“ löst meist ein lähmendes Gefühl aus mit Blick auf die kaum zu beeinflussenden äußeren Faktoren. Konzentriert man sich aber auf die eigene Person, Werte und Überzeugungen, wird man plötzlich handlungsfähig und übernimmt Selbstverantwortung, die im laufenden Prozess automatisch Einfluss auf den äußeren Wandel hat. Und 3.) „Was wäre, wenn das alle machen?“ schafft die weltverändernde Perspektive.
Unser aktuelles Wirtschaftssystem vernichtet mit dem absoluten Profit-Gedanken die Lebendigkeit, die Wertschätzung und den Respekt vor sich selbst, Mitmenschen und der Umwelt. Unternehmen sollten stattdessen dazu verpflichtet werden, die Lebendigkeit zu nähren, also unter anderem den Mensch als Menschen und nicht als Unternehmer*in oder Angestellten zu sehen und Individualität anzuerkennen, ohne egoistisch zu sein.
Anja Ehrhardt von den Dresdner Verkehrsbetrieben teilte in ihrer Session „Unternehmenskultur – hierarchieübergreifende Zusammenarbeit in Veränderungsprozessen“ ihre Erfahrungen im Werteprozess. Mit fast 2.000 Mitarbeiter*innen sind die DVB ein Beispiel, wie sich selbst ein großes Unternehmen auf den Weg macht und sich der Diskussion und dem Entwicklungsprozess stellen kann. Der Herausforderung folgend, den Bedürfnissen der unterschiedlichen Generationen und ihren verschiedenen Lebenskonzepten gerecht zu werden und gleichzeitig auf dem Arbeitsmarkt attraktiv zu sein, fing das Unternehmen im vergangenen Jahr an, die Unternehmenswerte neu zu durchdenken. Mit der Methode des „Design Thinking“ wurde ein kreativer Raum geöffnet, in dem Mitarbeiter*innen aus unterschiedlichen Disziplinen Fragestellungen entwickeln, Bedürfnisse und Motivationen äußern, Konzepte entwerfen und das Entstandene prüfen konnten. Durch die Öffnung des Prozesses für alle Mitarbeiter*innen bildete sich eine diverse Gruppe, in der sich vom Busfahrer bis zur Abteilungsleitung alle gemeinsam mit den Werten des Unternehmens auseinandersetzten. In einem mehrtägigen Prozess entstand in Gesprächsrunden, Gruppenprozessen und gestalterischen Phasen ein neuer Wertekodex. Jetzt folgt eine Auseinandersetzung des Vorstandes mit den Ergebnissen und den Möglichkeiten der Umsetzung. Der Prozess soll mit der Beteiligung aller Mitarbeiter*innen weitergehen.
Dieser wichtige Schritt, sich als Unternehmen zu öffnen und sich den Wünschen und Bedürfnissen seiner Mitarbeiter*innen zu stellen, ist der erste Schritt, den Mensch als Individuum im Unternehmen anzuerkennen und ihm eine Stimme zu geben.
Thomas Zinn und Stefan Queiser von der IT Firma Ostec erzählten in der Session „Holakratie – Transition ins Chaos oder Ansatz zu nachhaltigem Personalmanagement?“ von ihrer Umstellung von einer hierarchischen zu einer holakratischen Unternehmensorganisation. Dabei steht im Mittelpunkt ein Ziel, das gemeinsam erarbeitet wird. Dies ermöglicht es allen Angestellten, ein Leitbild vor Augen zu haben, nach dem sie zusammen Entscheidungen treffen. In der Holakratie gibt es keinen „Chef“ im klassischen Sinne. Viel mehr liegt die Verantwortung, aber auch die Entscheidungsspielräume, bei allen. Aufgabe der Geschäftsführung ist es, für Räume zur Diskussion zu sorgen. Entscheidungen werden von Betroffenen oder Expert*innen im jeweiligen Themenbereich vorbereitet und abgestimmt.
Einige ihrer Angestellten schreckt es noch ab, dass sie keine klaren Anweisungen mehr von „oben“ bekommen, andere können sich jetzt erst voll am Arbeitsplatz entfalten und finden echte Sinnstiftung und ein Gefühl von Selbstwirksamkeit in ihrer Arbeit. Mit der Umstellung ist ein innovatives, soziales Klima entstanden, welches den Menschen im Mittelpunkt sieht.
In der Session „Männer sind besser als Frauen? – Wege zu Vielfalt in der Führung“ erzählte Petra von Crailsheim (Ostsächsische Sparkasse) vom Anstoß interner und externer Diskussion und Reflexion, wie Vielfalt in Führung (besonders jüngere und weibliche) aussehen und gelingen kann. Der Prozess kam ins Rollen durch die Beobachtung, dass 75 % der Mitarbeitenden bei der OSSK weiblich sind, jedoch kaum Frauen Führungspositionen besetzen. Daraufhin folgte eine mehrjährige empirische Auseinandersetzung, deren Ergebnisse trotz anfänglicher Widerstände nicht in der Schublade verschwanden. Petra von Crailsheim organisierte eine 11 Monate laufende, multimedial aufbereitete Ausstellung. Der entstandene Diskurs, das interne und externe Interesse an den Ergebnissen und die positiven Rückmeldungen von Expert*innen haben schließlich einen Bewusstseinswandel im Unternehmen angestoßen. Drei wesentliche Denkanstöße kristallisierten sich heraus: 1.) Sprachlich inkludieren statt Grenzen zementieren. 2.) Kompetenz statt Hierarchie. Und 3.) Sinnfrage stellen statt immer gleiche Statussymbole fördern.
Aus diesem Prozess resultierten ganz praktische Änderungen. So werden jetzt bei Stellenausschreibungen für Führungspositionen „typisch männliche“ Eigenschaften überarbeitet und die Stellen ausschließlich in Teilzeit ausgeschrieben. Gleichzeitig hat sich ein Unternehmensnetzwerk für Jüngere und Frauen gebildet und das Selbstverständnis und der Wertekodex wurden mit den Mitarbeiter*innen zusammen neu entwickelt.
Der Abend hat gezeigt, dass das „Mensch-Sein“ auch im Arbeitskontext immer mehr an Bedeutung gewinnt. Werden Mitarbeiter*innen beteiligt und können im Unternehmen ihre Werte leben, werden ganz neue Veränderungsprozesse angestoßen. Nachhaltige Entwicklungen hängen so nicht nur an einzelnen Führungspositionen, sondern können von dem ganzen Team angestoßen werden.
Fotografin: Lisa Lotte Lesselt